Der letzte Satz!



Das letzte Blatt, der letzte Satz, das letzte Wort...

Am Ende eines wundervollen Buches angekommen zu sein ist für mich jedes Mal eine schmerzliche Angelegenheit. Das habe ich schon als Kind so empfunden. Ich habe es nicht einfach gelesen dieses Buch, ich habe mitgelebt. Ich war dabei, wenn sich Dramen abspielten, Liebesromanzen das Herz bewegten oder das Leben ruhig und leise dahin plätscherte. Ich habe mitgekämpft, mitgelacht, mitgetrauert und mitgeliebt. Ich kenne sie alle persönlich, die Menschen, die mich für einige Tage, einige Wochen mit in ihre Welt genommen haben. Ich habe in ihren Häusern gewohnt, an ihren Tischen gesessen, mit ihnen gelacht, geweint, sie verstanden oder mich über sie gewundert. Ich höre ihre Stimmen, kenne ihren Tonfall und verfolge ihre Bewegungen. Ich weiß was in ihrem Kleiderschrank hängt und welches Parfum sie benutzen. Ich höre zu wenn sie musizieren und summe leise mit. Manchmal belausche ich sie heimlich und kichere leise. Ab und zu verreise ich und kehre erst nach einigen Tagen zurück, aber alle haben sie auf mich gewartet...



Doch unvermeidbar nähert sich der Augenblick, ab dem es mir langsam mulmig wird. Ich fühle mich wie jemand, der gleich den besten Freund zum Bahnhof bringt und nicht weiß ob er ihn je wieder sieht. Aber ich komme nicht drumherum, ich muss umblättern und dann ist es plötzlich da, das letzte Blatt, das letzte Wort. Und unvermittelt fühle ich mich verlassen, allein und einsam. Wo sind sie hin, all die Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind und mit mir eine Weile ihr Leben geteilt haben? Wie geht ihre Geschichte weiter? Kann eine Geschichte zu Ende sein, solange sich die Erde noch dreht? Nein, ganz bestimmt nicht, der Autor hat nur an einer bestimmten Stelle den Stift zur Seite gelegt. Das ist es.

Und dann bin ich wieder in meiner eigenen Wirklichkeit, und in diesem Moment ist sie traurig und leer. Ich brauche meine Zeit.



Aber dann, ein paar Tage später mache ich mich wieder auf. Klopfe irgendwo an die Türe und bitte um gefällige Gastfreundschaft und da sind sie wieder, neue Menschen, neue Welten, neue Schauplätze. "Komm, komm mit.", höre ich geheimnisvolle Stimmen flüstern. Und ich komme mit. Wenn ich Glück habe fühle ich mich wie zu Hause und schließe neue Freundschaften. Und an den Abschied, an den denke ich jetzt noch nicht.

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